8 Vektorräume

Wir wollen nun die wesentlichen gemeinsamen Eigenschaften der Ebene und des Raumes zum zentralen Begriff des Vektorraumes zusammenfassen.

Punkte \bgroup\color{demo}$ (x,y)$\egroup in der Ebene \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}^2$\egroup oder auch Punkte \bgroup\color{demo}$ (x,y,z)$\egroup im Raum \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}^3$\egroup können wir (koordinatenweise) addieren und auch mit skalaren \bgroup\color{demo}$ \lambda \in\mathbb{R}$\egroup (koordinatenweise) multiplizieren.

\bgroup\color{demo}\includegraphics[scale=0.5]{pic-1005}\egroup          \bgroup\color{demo}\includegraphics[scale=0.5]{pic-1006}\egroup

Wir fassen die wesentlichen Eigenschaften dieser beiden Operationen `` \bgroup\color{demo}$ +$\egroup'' und `` \bgroup\color{demo}$ \cdot$\egroup'' in folgender Definition zusammen.


8.1 Definition.
Ein reeller Vektorraum \bgroup\color{demo}$ V$\egroup ist eine Menge \bgroup\color{demo}$ V$\egroup zusammen mit zwei Operationen (d.h. Abbildungen) \bgroup\color{demo}$ +:V\times V\to V$\egroup (genannt Addition) und \bgroup\color{demo}$ \cdot:\mathbb{R}\times V\to V$\egroup (genannt Skalarmultiplikation) für die folgendes gilt:


8.2 Beispiele.

  1. Die Gerade $ \mathbb{R}$ mit der üblichen Addition und Multiplikation ist ein reeller Vektorraum.
  2. Die Ebene $ \mathbb{R}^2$ mit $ (x,y)+(x',y'):=(x+x',y+y')$ und $ \lambda \cdot
(x,y)=(\lambda \,x,\lambda \,y)$ ist ein reeller Vektorraum.
  3. Der Raum $ \mathbb{R}^3$ mit

    $\displaystyle (x,y,z)+(x',y',z')$ $\displaystyle :=(x+x',y+y',z+z')$    
    $\displaystyle \lambda \cdot (x,y,z)$ $\displaystyle :=(\lambda \,x,\lambda \,y,\lambda \,z)$    

    ist ein reeller Vektorraum.
  4. Allgemeiner ist $ \mathbb{R}^n$ für $ n\in\mathbb{N}$ eine reeller Vektorraum bzgl.

    $\displaystyle (x_0,\dots,x_{n-1})+(x_0',\dots,x_{n-1}')$ $\displaystyle :=(x_0+x_0',\dots,x_{n-1}+x_{n-1}')$    
    und $\displaystyle \lambda \cdot (x_0,\dots,x_{n-1})$ $\displaystyle := (\lambda \,x_0,\dots,\lambda \,x_{n-1})$    

  5. Noch allgemeiner ist die Menge $ \mathbb{R}^\mathbb{N}$ der reellen Folgen eine reeller Vektorraum bzgl.

    $\displaystyle (x_0,\dots)+(x_0',\dots)$ $\displaystyle :=(x_0+x_0',\dots)$    
    und $\displaystyle \lambda \cdot (x_0,\dots)$ $\displaystyle := (\lambda \,x_0,\dots)$    

    oder unter Vermeidung von ``...'':

    $\displaystyle (x_i)_{i\in \mathbb{N}}+(x_i')_{i\in\mathbb{N}}$ $\displaystyle :=(x_i+x_i')_{i\in\mathbb{N}}$    
    und $\displaystyle \lambda \cdot (x_i)_{i\in\mathbb{N}}$ $\displaystyle := (\lambda \,x_i)_{i\in\mathbb{N}}$    

  6. Noch allgemeiner sei $ I$ eine beliebige Menge und $ \mathbb{R}^I$ die Menge der Abbildungen $ x:I\to\mathbb{R}$. Dann ist $ \mathbb{R}^I$ ein reeller Vektorraum bzgl. den punktweisen Operationen:

    $\displaystyle x+x':i$ $\displaystyle \mapsto x(i)+x'(i)$    
    $\displaystyle \lambda \cdot x:i$ $\displaystyle \mapsto \lambda \,x(i)$    

    Beachte, daß im Fall $ I=n:=\{0,\dots,n-1\}$ den Elementen $ x\in \mathbb{R}^I$ gerade $ n$-Tupeln $ (x(0),\dots,x(n-1))\in\mathbb{R}^n$ entsprechen.
  7. Die Menge $ \mathbb{R}[x]$ aller Polynome mit reellen Koeffizienten ist ebenfalls ein reeller Vektorraum wenn man sie als Teilmenge von $ \mathbb{R}^\mathbb{R}$ auffaßt. Die Operationen sind wegen der distributiv-Gesetze für $ \mathbb{R}$ natürlich durch

    $\displaystyle \Bigl(\sum_i p_i\,x^i\Bigr)+\Bigl(\sum_i q_i\,x^i\Bigr)$ $\displaystyle := \sum_i (p_i+q_i)\,x^i$    
    $\displaystyle \lambda \cdot \Bigl(\sum_i p_i\,x^i\Bigr)$ $\displaystyle := \sum_i (\lambda \,p_i)\,x^i$    

    gegeben.


8.3 Bemerkung.
Anstelle Skalare in \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}$\egroup zu verwenden können wir aber auch einen beliebigen Körper \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}$\egroup (wie z.B. \bgroup\color{demo}$ \mathbb{Q}$\egroup, \bgroup\color{demo}$ \mathbb{C}$\egroup, \bgroup\color{demo}$ \mathbb{Z}_2$\egroup, \bgroup\color{demo}$ \mathbb{Z}_3$\egroup, etc. ) verwenden. Eine Menge \bgroup\color{demo}$ V$\egroup mit zwei Operationen \bgroup\color{demo}$ +:V\times V\to V$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \cdot:\mathbb{K}\times V\to V$\egroup die obige Eigenschaften eines reellen Vektorraums mit Skalaren in \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}$\egroup statt in \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}$\egroup erfüllen heißt Vektorraum über \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}$\egroup.

Wie zuvor ist \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}^I$\egroup ein Vektorraum über \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}$\egroup für jede Menge \bgroup\color{demo}$ I$\egroup. Ebenso ist die Menge \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}[x]$\egroup der Polynome mit Koeffizienten in \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}$\egroup eine Vektorraum über \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}$\egroup.

Insbesonders für \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}=\mathbb{Z}_2\cong \{0,1\}$\egroup ist also \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}^I$\egroup ein Vektorraum und da die Elemente \bgroup\color{demo}$ x\in \mathbb{K}^I$\egroup gerade durch \bgroup\color{demo}$ x^{-1}(1)=\{i\in I:x(i)=1\}\subseteq I$\egroup charakterisiert sind, steht \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}^I$\egroup in Bijektion zur Potenzmenge \bgroup\color{demo}$ \mathcal{P}(I)$\egroup von \bgroup\color{demo}$ I$\egroup, und somit ist diese ein Vektorraum über \bgroup\color{demo}$ \mathbb{Z}_2$\egroup wobei die Summe von Mengen \bgroup\color{demo}$ A$\egroup und \bgroup\color{demo}$ B$\egroup gerade die symmetrische Differenz \bgroup\color{demo}$ A\Delta B:=A\cup B\setminus A\cap B$\egroup ist. In (11.12) werden wir diesen Vektorraum für das Korrigieren von Übertragsfehlern benötigen.

\includegraphics[scale=0.5]{pic-1007}




8.4 Lemma.
In jedem Vektorraum gilt

$\displaystyle 0\cdot x=0=\lambda \cdot 0$    
$\displaystyle (-\lambda )\cdot x=-(\lambda \cdot x)=\lambda \cdot (-x)$    

Beweis. Dieser Beweis ist völlig analog zu jenem von (2.6):

Es ist \bgroup\color{demo}$ 0\cdot x=(0+0)\cdot x=0\cdot x+0\cdot x$\egroup und nach Addition von \bgroup\color{demo}$ -(0\cdot x)$\egroup folgt \bgroup\color{demo}$ 0=0\cdot x$\egroup.

Ebenso ist \bgroup\color{demo}$ \lambda \cdot 0=\lambda \cdot (0+0)=\lambda \cdot0+\lambda \cdot 0$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ 0=\lambda \cdot 0$\egroup.

Weiters ist \bgroup\color{demo}$ \lambda \cdot x+(-\lambda )\cdot x=(\lambda +(-\lambda ))\cdot x=0\cdot x=0$\egroup und somit ist \bgroup\color{demo}$ -(\lambda \cdot x)=(-\lambda )\cdot x$\egroup.

Ebenso ist \bgroup\color{demo}$ \lambda \cdot x+\lambda \cdot(-x)=\lambda \cdot(x+(-x))=\lambda \cdot 0=0$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ -(\lambda \cdot x)=\lambda \cdot (-x)$\egroup.     []


8.5 Definition.
Unter einem Teilvektorraum oder auch linearen Teilraum \bgroup\color{demo}$ W$\egroup von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup (man schreibt \bgroup\color{demo}$ W\leq V$\egroup) versteht man eine Teilmenge \bgroup\color{demo}$ W\subseteq V$\egroup welche durch die Operationen \bgroup\color{demo}$ +$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \cdot$\egroup von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup eingeschränkt auf \bgroup\color{demo}$ W$\egroup (genauer auf \bgroup\color{demo}$ W\times W$\egroup bzw. \bgroup\color{demo}$ \mathbb{K}\times W$\egroup) zu einem Vektorraum gemacht werden.




8.6 Lemma.
Eine nicht-leere Teilmenge \bgroup\color{demo}$ W\subseteq V$\egroup eines Vektorraums \bgroup\color{demo}$ V$\egroup ist genau dann ein Teilvektorraum, wenn \bgroup\color{demo}$ x+\lambda \,y\in W$\egroup aus \bgroup\color{demo}$ x,y\in W$\egroup, \bgroup\color{demo}$ \lambda \in\mathbb{K}$\egroup folgt.

Beweis. ( \bgroup\color{demo}$ \Rightarrow$\egroup) Damit \bgroup\color{demo}$ +$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \cdot$\egroup die Menge \bgroup\color{demo}$ W$\egroup zu einem Vektorraum machen muß zumindestens \bgroup\color{demo}$ \lambda \,x\in W$\egroup und \bgroup\color{demo}$ x+y\in W$\egroup sein für \bgroup\color{demo}$ x,y\in W$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \lambda \in\mathbb{K}$\egroup. Also ist auch \bgroup\color{demo}$ x+\lambda \,y\in W$\egroup.

( \bgroup\color{demo}$ \Leftarrow$\egroup) Umgekehrt sei \bgroup\color{demo}$ x+\lambda \,y\in W$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ x,y\in W$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \lambda \in\mathbb{K}$\egroup. Dann ist insbesonders \bgroup\color{demo}$ x+y=x+1\,y\in W$\egroup und wenn \bgroup\color{demo}$ x_0\in W$\egroup ist, dann ist \bgroup\color{demo}$ 0=x_0-x_0=x_0+(-1)x_0\in W$\egroup und somit auch \bgroup\color{demo}$ \lambda \,y=0+\lambda \,y\in W$\egroup für \bgroup\color{demo}$ y\in
W$\egroup. Also lassen sich die Addition und die Skalarmultiplikation zu Abbildungen \bgroup\color{demo}$ +:W\times W\to W$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \cdot:\mathbb{K}\times W\to W$\egroup einschränken. Da diese alle nötigen Eigenschaften sogar für Punkte in \bgroup\color{demo}$ V$\egroup erfüllen ist \bgroup\color{demo}$ W$\egroup bezüglich diesen ein Vektorraum. Beachte, daß \bgroup\color{demo}$ -x=(-1)x\in W$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ x\in W$\egroup gilt.     []


8.7 Beispiel.
Wir betrachten eine Ebene \bgroup\color{demo}$ W:=\{(x,y,z)\in\mathbb{R}^3:a\,x+b\,y+c\,z=0\}$\egroup durch 0 im Raum \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}^3$\egroup, wobei \bgroup\color{demo}$ (a,b,c)$\egroup ein vorgegebener (Normal)vektor (auf sie) sei. Nach (8.6) ist \bgroup\color{demo}$ W$\egroup ein Teilvektorraum von \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}^3$\egroup, denn aus \bgroup\color{demo}$ (x,y,z),(x',y',z')\in W$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \lambda \in\mathbb{R}$\egroup folgt

\bgroup\color{demo}$\displaystyle a\,(x+\lambda \,x') + b\,(y+\lambda \,y')+c\,(...
...a \,z')
= (a\,x+b\,y+c\,z)+\lambda \,(a\,x'+b\,y'+c\,z')=%%0+\la\,0=
0,
$\egroup

also \bgroup\color{demo}$ (x,y,z)+\lambda \,(x',y',z')\in W$\egroup.

Ganz ähnlich zeigt man, daß die Lösungsmenge jeder homogenen linearen Gleichung

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \sum_{i=0}^{n-1} a_i\,x_i=0
$\egroup

mit Koeffizienten \bgroup\color{demo}$ a_i\in\mathbb{R}$\egroup ein Teilvektorraum von \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}^n$\egroup ist.




8.8 Folgerung.
Es sei \bgroup\color{demo}$ \mathcal{W}$\egroup eine Menge von Teilvektorräumen \bgroup\color{demo}$ W\leq V$\egroup. Dann ist auch der Durchschnitt \bgroup\color{demo}$ \bigcap\mathcal{W}$\egroup ein Teilvektorraum von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup.

Beweis. Es sei \bgroup\color{demo}$ x,y\in\bigcap\mathcal{W}$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ x,y\in W$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ W\in\mathcal{W}$\egroup. Nach (8.6) ist auch \bgroup\color{demo}$ x+\lambda \,y\in W$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ x+\lambda \,y\in\bigcap\mathcal{W}$\egroup. Wegen \bgroup\color{demo}$ 0\in\bigcap\mathcal{W}$\egroup folgt aus (8.6), daß \bgroup\color{demo}$ \bigcap\mathcal{W}$\egroup ein Teilvektorraum ist.     []


8.9 Beispiel.
Geraden \bgroup\color{demo}$ W$\egroup durch 0 im \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}^3$\egroup können ja bekanntlich als Durchschnitte \bgroup\color{demo}$ W_1\cap W_2$\egroup von Ebenen \bgroup\color{demo}$ W_i$\egroup (durch 0) beschrieben werden, also sind solche Geraden ebenfalls Teilvektorräume.

\includegraphics[scale=0.7]{pic-1008}

Gleiches gilt für die Lösungsmenge eines Systems homogener linearer Gleichungen:

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \sum_{j=0}^{n-1} a_{i,j}\,x_j=0$\egroup für \bgroup\color{demo}$\displaystyle i\in\{0,\dots,m-1\}.
$\egroup


8.10 Bemerkung.
Ebenen in allgemeiner Lage sind Lösungsmengen \bgroup\color{demo}$ E:=\{(x,y,z)\in\mathbb{R}^3:a\,x+b\,y+c\,z=d\}$\egroup inhomogener linearer Gleichungen \bgroup\color{demo}$ a\,x+b\,y+c\,z=d$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ (a,b,c)\ne 0$\egroup. Nach Wahl eines Punktes \bgroup\color{demo}$ p:=(x_0,y_0,z_0)\in E$\egroup ist \bgroup\color{demo}$ E$\egroup beschreibbar als \bgroup\color{demo}$ E=p+W$\egroup wobei \bgroup\color{demo}$ W$\egroup die Lösungsmenge \bgroup\color{demo}$ W:=\{(x,y,z)\in\mathbb{R}^3:a\,x+b\,y+c\,z=0\}$\egroup der zugehörigen homogenen Gleichung \bgroup\color{demo}$ a\,x+b\,y+c\,z=0$\egroup ist, denn sei \bgroup\color{demo}$ (x_1,y_1,z_1)\in E$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ a\,x_1+b\,y_1+c\,z_1=d=a\,x_0+b\,y_0+c\,z_0$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ a\,x+b\,y+c\,z=0$\egroup, wobei \bgroup\color{demo}$ (x,y,z)=(x_1,y_1,z_1)-(x_0,y_0,z_0)$\egroup, d.h. \bgroup\color{demo}$ (x_1,y_1,z_1)=(x_0,y_0,z_0)+(x,y,z)\in p+W$\egroup. Umgekehrt sei \bgroup\color{demo}$ (x_1,y_1,z_1)\in p+W$\egroup, d.h. \bgroup\color{demo}$ (x_1,y_1,z_1)=(x_0,y_0,z_0)+(x,y,z)$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ (x,y,z)\in W$\egroup, dann ist \bgroup\color{demo}$ a\,x_1+b\,y_1+c\,z_1=(a\,x_0+b\,y_0+c\,z_0)+(a\,x+b\,y+c\,z)=d+0$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ (x_1,y_1,z_1)\in E$\egroup.


8.11 Definition.
Unter einen affinen Teilraum eines Vektorraums \bgroup\color{demo}$ V$\egroup versteht man eine Teilmenge der Form \bgroup\color{demo}$ p+W$\egroup von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup, wobei \bgroup\color{demo}$ p\in V$\egroup und \bgroup\color{demo}$ W$\egroup ein Teilvektorraum von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup ist.

\includegraphics[scale=0.5]{pic-1009}


8.12 Bemerkung.
Im Unterschied zu Durchschnitten sind Vereinigungen von Teilvektorräumen selten wieder Teilvektorräume: Betrachte z.B. die Vereinigung zweier verschiedener Geraden \bgroup\color{demo}$ W_1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ W_2$\egroup durch 0 in \bgroup\color{demo}$ \mathbb{R}^2$\egroup. Hingegen ist folgende Menge \bgroup\color{demo}$ W_1+W_2$\egroup das passenden Pendant zur Vereinigung für Teilvektorräume.

\includegraphics[scale=0.5]{pic-1010}


8.13 Definition.
Es seien \bgroup\color{demo}$ A,B\subseteq V$\egroup. Dann versteht man unter der Summe von \bgroup\color{demo}$ A$\egroup und \bgroup\color{demo}$ B$\egroup die Menge

\bgroup\color{demo}$\displaystyle A+B:=\{a+b:a\in A,b\in B\}.
$\egroup




8.14 Lemma.
Es seien \bgroup\color{demo}$ W_1,W_2\leq V$\egroup zwei Teilvektorräume. Dann ist \bgroup\color{demo}$ W_1+W_2$\egroup auch ein Teilvektorraum von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup, und zwar der kleinste, der \bgroup\color{demo}$ W_1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ W_2$\egroup enthält.

Beweis. Seien \bgroup\color{demo}$ x,x'\in W_1+W_2$\egroup, d.h. es existieren \bgroup\color{demo}$ w_1,w_1'\in W_1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ w_2,w_2'\in
W_2$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ x=w_1+w_2$\egroup und \bgroup\color{demo}$ x'=w_1'+w_2'$\egroup. Sei weiters \bgroup\color{demo}$ \lambda \in\mathbb{K}$\egroup, dann ist \bgroup\color{demo}$ x+\lambda \,x'=(w_1+w_2)+\lambda \,(w_1'+w_2')=(w_1+\lambda \,w_1')+(w_2+\lambda \,w_2')\in
W_1+W_2$\egroup. Nun folgt die Teilraumeigenschaft aus (8.6).

Offensichtlich ist \bgroup\color{demo}$ W_1,W_2\subseteq W_1+W_2$\egroup, da \bgroup\color{demo}$ 0\in W_1\cap W_2$\egroup liegt. Sei nun \bgroup\color{demo}$ W$\egroup ein weiterer Teilraum von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup mit dieser Eigenschaft anstelle von \bgroup\color{demo}$ W_1+W_2$\egroup, dann ist \bgroup\color{demo}$ W_1\cup W_2\subseteq W$\egroup und somit auch \bgroup\color{demo}$ w_1+w_2\in W$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ w_1\in W_1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ w_2\in W_2$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ W_1+W_2\subseteq W$\egroup. Dies zeigt, daß \bgroup\color{demo}$ W_1+W_2$\egroup der kleinste Teilvektorraum mit dieser Eigenschaft ist.     []


8.15 Definition.
Es sei \bgroup\color{demo}$ A\subseteq V$\egroup eine Teilmenge. Unter den von \bgroup\color{demo}$ A$\egroup erzeugten Teilvektorraum oder auch das lineare Erzeugnis \bgroup\color{demo}$ \langle A\rangle_{\text{VR}}$\egroup versteht man den kleinsten Teilvektorraum von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup der \bgroup\color{demo}$ A$\egroup enthält, also nach (8.8) gerade den Durchschnitt aller Teilvektorräume \bgroup\color{demo}$ W\leq V$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ A\subseteq W$\egroup.




8.16 Lemma.
Der von einer Teilmenge \bgroup\color{demo}$ A\subseteq V$\egroup erzeugte Teilvektorraum ist durch

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \langle A\rangle_{\text{VR}}=
\Bigl\{\sum_{k=1...
...bda _k\,a_k:n\in\mathbb{N},\forall k:a_k\in A,\lambda _k\in\mathbb{K}\}
$\egroup

gegeben, also die Menge aller Linearkombinationen \bgroup\color{demo}$ \sum_k \lambda _k\,a_k$\egroup von Vektoren \bgroup\color{demo}$ a_k$\egroup aus \bgroup\color{demo}$ A$\egroup mit Koeffizienten \bgroup\color{demo}$ \lambda _k\in\mathbb{K}$\egroup.

Geometrische ist eine Linearkombination \bgroup\color{demo}$ v=\sum_k \lambda _k\,a_k$\egroup jener Vektor der dadurch entsteht, daß man \bgroup\color{demo}$ \lambda _1$\egroup lange in Richtung \bgroup\color{demo}$ a_1$\egroup geht, danach \bgroup\color{demo}$ \lambda _2$\egroup lange in Richtung \bgroup\color{demo}$ a_2$\egroup, u.s.w. bis man schließlich \bgroup\color{demo}$ \lambda _k$\egroup lange in Richtung \bgroup\color{demo}$ a_k$\egroup geht.

\includegraphics[scale=0.7]{pic-1043}

Beweis. Wir können bei den Linearkombinationen \bgroup\color{demo}$ \sum_k \lambda _k\,a_k$\egroup annehmen, daß die \bgroup\color{demo}$ a_k$\egroup alle verschieden sind, denn andernfalls kann die Teilsumme jener \bgroup\color{demo}$ k$\egroup, wo \bgroup\color{demo}$ a_k=a$\egroup ist, auch als

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \sum_{k\text{ mit }a_k=a} \lambda _k\, a_k
= \...
... _a}\to{(\sum_{k\text{ mit }a_k=a}\lambda _k)}\, a
=: \lambda _a\cdot a
$\egroup

geschrieben werden und somit ist

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \sum_{k=1}^n \lambda _k\,a_k=\sum_{a\in\{a_1,\dots,a_k\}}\lambda _a\,a
$\egroup

Indem wir als Koeffizient \bgroup\color{demo}$ \lambda _a$\egroup jene \bgroup\color{demo}$ a\in A$\egroup die nicht \bgroup\color{demo}$ \{a_1,\dots,a_n\}$\egroup vorkommen gerade \bgroup\color{demo}$ \lambda _a:=0$\egroup wählen, können wir dies weiter als

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \sum_{a\in A}\lambda _a\,a
$\egroup

schreiben, wobei nur für endlich viele \bgroup\color{demo}$ a$\egroup der Koeffizient \bgroup\color{demo}$ \lambda _a\ne 0$\egroup ist.

Wir wollen also zeigen, daß

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \langle A\rangle_{\text{VR}} = \Bigl\{\sum_{a\...
... _a\in\mathbb{K}\text{ und
}\lambda _a=0\text{ für fast alle }a\Bigr\}.
$\egroup

Dabei bedeutet ``fast alle'' gerade ``alle bis auf endlich viele Ausnahmen''.

Wir bezeichnen die Menge auf der rechten Seite mit \bgroup\color{demo}$ W_0$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ W_0$\egroup eine Teilvektorraum, denn mit \bgroup\color{demo}$ \sum_a\nu_a\,a$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \sum_a\mu_a\,a$\egroup ist auch \bgroup\color{demo}$ \sum_a\nu_a\,a+\lambda \sum_a\mu_a\,a=\sum_a(\nu_a+\lambda \,\mu_a)\,a\in W_0$\egroup. Mittels Induktion folgt aber sofort, daß jeder Teilvektorraum \bgroup\color{demo}$ W$\egroup der \bgroup\color{demo}$ A$\egroup enthält auch jede endliche lineare Kombination \bgroup\color{demo}$ \sum_{a\in A}\lambda _a\,a$\egroup enthalten muß, also ist \bgroup\color{demo}$ W_0$\egroup der kleinste solche Teilvektorraum ist und somit gilt \bgroup\color{demo}$ W_0=\langle A\rangle_{\text{VR}}$\egroup nach Definition (8.15).     []




8.17 Folgerung.
Es ist \bgroup\color{demo}$ W\subseteq V$\egroup genau dann ein Teilvektorraum, wenn \bgroup\color{demo}$ \langle W\rangle_{\text{VR}}=W$\egroup ist.

Beweis. ( \bgroup\color{demo}$ \Rightarrow$\egroup) Ist \bgroup\color{demo}$ W$\egroup ein Teilvektorraum, so sicherlich auch der kleinste, der \bgroup\color{demo}$ W$\egroup als Teilmenge enthält, also \bgroup\color{demo}$ W=\langle W\rangle_{\text{VR}}$\egroup.

( \bgroup\color{demo}$ \Leftarrow$\egroup) ist klar, da \bgroup\color{demo}$ \langle W\rangle_{\text{VR}}$\egroup ein Teilvektorraum ist.     []


8.18 Bemerkung.
Es ist \bgroup\color{demo}$ V:=\mathbb{R}^3$\egroup die Summe \bgroup\color{demo}$ W_1+W_2$\egroup zweier Ebenen, z.B.  \bgroup\color{demo}$ W_1:=\{(x,y,z)\in \mathbb{R}^3:z=0\}$\egroup und \bgroup\color{demo}$ W_2:=\{(x,y,z)\in\mathbb{R}^3:y=0\}$\egroup, aber die Darstellung von \bgroup\color{demo}$ (x,y,z)\in V$\egroup als \bgroup\color{demo}$ w_1+w_2$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ w_i\in W_i$\egroup ist nicht eindeutig:

$\displaystyle (x,y,0)+(0,0,z)=(x,y,z)=(0,y,0)+(x,0,z).$    

Anteile \bgroup\color{demo}$ (x,0,0)$\egroup die in \bgroup\color{demo}$ W_1\cap W_2$\egroup liegen können wir von einem zum anderen Summanden verschieben.

\includegraphics[scale=0.8]{pic-1011}

Eindeutigkeit kann wie folgt charakterisiert werden.




8.19 Lemma.
Es seien \bgroup\color{demo}$ W_1,W_2\subseteq V$\egroup zwei Teilräume. Dann ist für alle \bgroup\color{demo}$ x\in W_1+W_2$\egroup die Darstellung als \bgroup\color{demo}$ x=x_1+x_2$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ x_i\in W_i$\egroup genau dann eindeutig, wenn \bgroup\color{demo}$ W_1\cap W_2=\{0\}$\egroup. Man schreibt \bgroup\color{demo}$ W_1\oplus W_2$\egroup anstelle \bgroup\color{demo}$ W_1+W_2$\egroup in dieser Situation, und nennt diesen Raum die direkte Summe von \bgroup\color{demo}$ W_1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ W_2$\egroup. Falls \bgroup\color{demo}$ V=W_1\oplus W_2$\egroup, so nennt man \bgroup\color{demo}$ W_2$\egroup einen Komplementärraum zu \bgroup\color{demo}$ W_1$\egroup in \bgroup\color{demo}$ V$\egroup.

Beweis. ( \bgroup\color{demo}$ \Rightarrow$\egroup) Es sei \bgroup\color{demo}$ w\in W_1\cap W_2$\egroup, dann sind \bgroup\color{demo}$ w+0=w=0+w$\egroup zwei Darstellungen von \bgroup\color{demo}$ w\in W_1+W_2$\egroup und wegen der Eindeutigkeit ist \bgroup\color{demo}$ w=0$\egroup (und \bgroup\color{demo}$ 0=w$\egroup), also das einzige Element von \bgroup\color{demo}$ W_1\cap W_2$\egroup.

( \bgroup\color{demo}$ \Leftarrow$\egroup) Seien \bgroup\color{demo}$ w_1+w_2=w=w_1'+w_2'$\egroup zwei Darstellungen von \bgroup\color{demo}$ w\in W_1+W_2$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ W_1\ni w_1-w_1'=w_2'-w_2\in W_2$\egroup und wegen \bgroup\color{demo}$ W_1\cap W_2=\{0\}$\egroup ist also \bgroup\color{demo}$ w_1-w_1'=0=w_2'-w_2$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ w_1=w_1'$\egroup und \bgroup\color{demo}$ w_2=w_2'$\egroup, d.h. die Darstellung ist eindeutig.     []


8.20 Bemerkung.
Ein Teilvektorraum \bgroup\color{demo}$ W$\egroup von \bgroup\color{demo}$ V$\egroup wird im allgemeinen viele Komplementärräume besitzen. Sei z.B. \bgroup\color{demo}$ V:=\mathbb{R}^2$\egroup und \bgroup\color{demo}$ W:=\mathbb{R}\times \{0\}$\egroup die x-Achse. Die Komplementärräume \bgroup\color{demo}$ W'$\egroup zu \bgroup\color{demo}$ W$\egroup sind alle von \bgroup\color{demo}$ W$\egroup verschiedenen Geraden \bgroup\color{demo}$ W'$\egroup durch 0.

\includegraphics[scale=0.5]{pic-1012}

Andreas Kriegl 2002-02-01