Von Stiefel stammt folgendes Zitat aus dem Jahre 1544:
So wie eine unendliche Zahl keine Zahl ist, so ist eine irrationale Zahl keine wahre Zahl, weil sie sozusagen unter einem Nebel der Unendlichkeit verborgen ist.
6.1 Unlösbare Gleichungen in
.
Es ist
ein Körper, ja sogar ein angeordneter Körper, und so dachten die
alten Griechen (genauer die Pythagoräer) damit auch das Auslangen zu finden, d.h.
daß sich alle relevanten Größen als Verhältnisse ganzer Zahlen beschreiben lassen.
Insbesonders sollte dies auch für die Diagonale eines Quadrats mit rationalen
oder zumindestens mit Seite
gelten. Nach dem Satz von Pythagoras
ist nun
, also
.
Es gelang nun Hippasos von Metapont im 5.Jh. v.Chr. zu zeigen, daß keine rationale Zahl ist, die Lösung der Gleichung also in nicht gefunden werden kann, und dafür wurde er von den Pythagoräern bei einer Bootsfahrt ertränkt.
Beweis. Indirekt. Angenommen , d.h. es existieren ganze Zahlen mit und . dabei dürfen wir annehmen, daß der Bruch soweit wie möglich gekürzt ist, also und relativ prim sind. Es ist , also . Da die linke Seite teilt, muß auch die rechte Seite durch 2 teilbar sein, und somit gerade sein, also ist . Dann ist aber und somit . Da auch diese linke Seite teilt ist und somit ein gemeinsamer Teiler von und , ein Widerspruch zu ihrer Teilerfremdheit. []
Es gibt also Lücken in , d.h. Punkte auf der Zahlengeraden, die nicht rational sind. Wie können wir dieser Punkte Frau werden. Anstelle diese Punkte direkt anzugeben können wir sie auch durch die beiden Teilmengen beschreiben, in die zerfällt, wenn man es dort zerteilt. Für jedem Punkt der Geraden können wir also die Menge der rechts liegenden rationalen Punkte und auch die Menge der links liegenden rationalen Punkte betrachten. Diese beiden Mengen bilden eine Zerlegung von mit : . So etwas nennt man einen Dedekind'schen Schnitt von , und dieser ist bereits durch die Menge ohne kleinstes Element und mit der Eigenschaft , eindeutig bestimmt, denn dann ist und aus , folgt , denn andernfalls wäre und somit .
Man nennt eine Zahl Schnittzahl des Dedekind'schen Schnittes, wenn gilt.
6.2 Proposition.
Die Schnittzahl jedes Dedekind'schen Schnittes ist eindeutig bestimmt (sofern
sie existiert).
Beweis. Es seien und zwei Schnittzahlen des Dedekind'schen Schnittes . O.B.d.A. sei . Dann erfüllt die Ungleichung . Da eine Schnittzahl ist, ist und weil eine ist, ist , ein Widerspruch zu . []
6.3 Definition.
Unter einem vollständigen angeordneten Körper versteht man einen angeordneten
Körper für den jeder Dedekind'sche Schnitt eine Schnittzahl besitzt.
Der angeordnete Körper der rationalen Zahlen ist kein vollständig angeordneter Körper, wie der Dedekind'sche Schnitt für zeigt.
Hingegen sollte ein vollständig angeordneter Körper sein.
6.4 Konstruktion von
.
Die Menge der reellen Zahlen definiert man nun als
Wir können nun zeigen, daß seinerseits keine Lücken mehr aufweist:
6.5 Vollständigkeit von
.
Es sei
nach
unten beschränkt und nicht leer.
Dann existiert das Infimum
von
, d.h. die größte
untere Schranke von
.
Supremumsprinzip. Es sei nach oben beschränkt und nicht leer. Dann existiert das Supremum von , d.h. die kleinste obere Schranke von .
Beweis. Sei also nach unten beschränkt. Als einziger möglicher Kandidat für kommt nur in Frage, denn nach (1.5) ist dies die größte Teilmenge von die alle als Teilmengen enthält. Es ist , d.h. ein Dedekind'scher Schnitt: Wegen und ist . Sei eine untere Schranke von , d.h. für alle . Dann ist und somit auch ungleich . Sei nun und . Dann ist für ein und somit auch . Schließlich besitzt kein kleinstes Element , denn ein solches läge in einen und wäre damit auch kleinstes Element von .
Für den zweiten Teil betrachten wir . Dies ist nach unten beschränkt, besitzt also nach dem ersten Teil ein Infimum, und offensichtlich ist . []
als vollständig angeordneter Körper.
Weiters erweitert man die Grundrechnungsarten für rationale Zahlen nun
auf reelle Zahlen durch
und | ||
falls |
Man kann weiters zeigen, daß bis auf Isomorphie, d.h. Umbenennung seiner Elemente, der einzige vollständig angeordnete Körper ist: Sei ein beliebiger vollständig angeordneter Körper. Dazu zeigt man zuerst, daß die rekursiv definierte Abbildung eine injektive Abbildung von nach injektiv ist und die Addition Multiplikation und Ordnung entsprechend übersetzt. Diese Abbildung läßt sich dann zu einer injektiven und monotonen Abbildung zuerst auf und dann auf erweitern und schließlich, wegen der vollständigen Angeordnetheit auch zu einer solchen . Man zeigt schlußendlich, daß diese Abbildung die gesuchte Bijektion darstellt.
6.6 Proposition.
Satz von Archimedes:
ist nach oben unbeschränkt.
Satz von Eudoxos:
.
Es gibt also beliebig große natürliche Zahlen und beliebig kleine positive Kehrwerte natürlicher Zahlen.
Beweis. Satz von Archimedes: Andernfalls wäre nach oben beschränkt und besäße wegen der Vollständigkeit ein Supremum . Dann wäre aber auch eine obere Schranke von , denn aus folgt für alle , also . Dies ist ein Widerspruch dazu, daß die kleinste Schranke ist.
Satz von Eudoxos: Andernfalls wäre für alle und somit für alle , also nach oben beschränkt, ein Widerspruch zum Satz von Archimedes. []
6.7 Folgerung. Existenz der Wurzel.
Die Quadratwurzel von
existiert in
.
Entsprechendes kann man auch für die -te Wurzel positiver Zahlen zeigen.
Beweis. Es sei . Dann ist , denn nach dem Satz von Archimedes existiert sogar ein mit . Weiters ist nach unten durch 0 beschränkt. Wegen (6.5) existiert also das Infimum . Bleibt zu zeigen, daß gilt (also ist).
Andreas Kriegl 2002-02-01