5 Die rationalen Zahlen


5.1 Konstruktion von $ \mathbb{Q}$.
Wir wollen nun nach der additiven Gleichung \bgroup\color{demo}$ a=b+x$\egroup die uns in (4.1) zu den ganzen Zahlen geführt hat analog die multiplikative Gleichung \bgroup\color{demo}$ a=b\cdot x$\egroup behandeln. Nur für \bgroup\color{demo}$ b\ne 0$\egroup dürfen wir die Existenz einer Lösung \bgroup\color{demo}$ x$\egroup erhoffen, den in jedem Ring gilt \bgroup\color{demo}$ 0\cdot x=0$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ x\in R$\egroup nach (2.6). Leider haben wir für \bgroup\color{demo}$ \mathbb{Z}$\egroup gesehen, daß die Gleichung \bgroup\color{demo}$ a=b\cdot x$\egroup genau dann eine Lösung \bgroup\color{demo}$ x\in\mathbb{Z}$\egroup besitzt, wenn \bgroup\color{demo}$ a$\egroup durch \bgroup\color{demo}$ b$\egroup teilbar ist. Z.B. für \bgroup\color{demo}$ a=1$\egroup ist das nur für \bgroup\color{demo}$ b\in\{\pm1\}$\egroup der Fall.

Also versuchen wir wie in (4.1) wieder mit virtuellen Lösungen \bgroup\color{demo}$ x=x_{a,b}$\egroup diesmal der Gleichungen \bgroup\color{demo}$ a=b\cdot x$\egroup für \bgroup\color{demo}$ b\ne 0$\egroup zu rechnen. Analog zum Übergang von \bgroup\color{demo}$ \mathbb{N}$\egroup auf \bgroup\color{demo}$ \mathbb{Z}$\egroup sollte \bgroup\color{demo}$ x_{a,b}\cdot x_{a',b'}=x_{a\cdot a',b\cdot b'}$\egroup sein und \bgroup\color{demo}$ x_{a,b}=x_{a',b'}$\egroup, falls \bgroup\color{demo}$ a\cdot b'=a'\cdot b$\egroup ist. Wir definieren also die Menge der rationalen Zahlen als

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \mathbb{Q}:=\mathbb{Z}\times (\mathbb{Z}\setminus\{0\})/{\sim},$\egroup wobei \bgroup\color{demo}$\displaystyle (a,b)\sim (a',b'):\Leftrightarrow a\cdot b=a'\cdot b.
$\egroup

Dann ist \bgroup\color{demo}$ (\mathbb{Q},\cdot)$\egroup eine kommutative Halbgruppe mit \bgroup\color{demo}$ 1:=[(1,1)]_\sim$\egroup und \bgroup\color{demo}$ (\mathbb{Q}\setminus\{0\},\cdot)$\egroup eine Gruppe, wobei \bgroup\color{demo}$ 0:=[(0,1)]_\sim$\egroup.

Weiters sollte \bgroup\color{demo}$ x_{a,b}+x_{a',b'}=x_{a\cdot b'+a'\cdot b,b\cdot b'}$\egroup sein, denn \bgroup\color{demo}$ a\cdot b'+a'\cdot b=(x_{a,b}\cdot b)\cdot b'+(x_{a',b'}\cdot b')\cdot b=
(x_{a,b}+x_{a',b'})\cdot (b\cdot b')$\egroup. Einfache Rechnungen zeigen, daß damit \bgroup\color{demo}$ (\mathbb{Q},+,\cdot)$\egroup zu einem Körper wird, der Körper der rationalen Zahlen. Man schreibt natürlich üblicherweise \bgroup\color{demo}$ \frac{a}{b}$\egroup an Stelle von \bgroup\color{demo}$ [(a,b)]_\sim$\egroup. Beachte dabei, daß wir ganze Zahlen \bgroup\color{demo}$ x\in\mathbb{Z}$\egroup als spezielle rationale Zahlen vermöge der Abbildung \bgroup\color{demo}$ x\mapsto \frac{x}{1}$\egroup, \bgroup\color{demo}$ \mathbb{Z}\to\mathbb{Q}$\egroup auffassen können.

Kombinatorik (Fortsetzung)


5.2 Definition.
Unter einer Kombination ohne Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup vielen Objekten aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup vielen, versteht man eine Auswahl von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup-verschiedenen Elementen aus einer Grundmenge von \bgroup\color{demo}$ n$\egroup vielen, wobei es auf die Reihenfolge der Auswahl nicht ankommen soll. Also wenn z.B. der Vorstand bestehend aus 3 gleichberechtigen Personen, deren jeweilige Aufgaben/Ämter nicht explizit festgelegt sind, eines Vereins mit 100 Mitgliedern gewählt werden soll (ohne das Ämterkummulierung zulässig), so ist eine Kombination ohne Wiederholungen von 3 aus 100 zu bestimmen.

Kombinationen ohne Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup werden also gerade durch \bgroup\color{demo}$ k$\egroup-Elementige Teilmenge einer \bgroup\color{demo}$ n$\egroup-Elementigen Menge beschrieben.




5.3 Proposition.
Die Anzahl der Kombinationen ohne Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup vielen Objekten aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup vielen ist gerade der Binomialkoeffizient

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \binom{n}{k}:=\frac{(n)_k}{k!}=\prod_{j=1}^k \frac{n-j+1}{j}
=\frac{n!}{k!\cdot (n-k)!}.
$\egroup

Beweis. Der Unterschied zwischen Variationen und Kombinationen ohne Wiederholung besteht gerade darin, daß es bei ersteren auf die Reihenfolge der Auswahlen ankommt. Aus jeder Auswahl einer Kombination ohne Wiederholung kann erhält man etliche Variationen ohne Wiederholung indem man die \bgroup\color{demo}$ k$\egroup gewählten Elemente irgendwie anordnet. Dafür gibt es nach (3.19) gerade \bgroup\color{demo}$ k!$\egroup viele Möglichkeiten. Wenn wir also die Anzahl der Kombinationen mit \bgroup\color{demo}$ \binom{n}{k}$\egroup bezeichnen, dann ist die Anzahl der Variationen \bgroup\color{demo}$ (n)_k=k!\cdot\binom{n}{k}$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ \binom{n}{k}=\frac{(n)_k}{k!}$\egroup.     []

Beachte, daß es genau eine Möglichkeit gibt aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup-Elementen keines Auszuwählen, nämlich die leere Menge, also ist \bgroup\color{demo}$ \binom{n}{0}=1$\egroup.




5.4 Folgerung. Binomsche Lehrsatz.
Für \bgroup\color{demo}$ n\in\mathbb{N}$\egroup ist

\bgroup\color{demo}$\displaystyle (x+y)^n=\sum_{k=0}^n \binom{n}{k} x^{n-k}y^k
$\egroup

Beweis. Ausmultiplizieren von \bgroup\color{demo}$ (x+y)^n=(x+y)\cdot\dots\cdot(x+y)$\egroup vermöge dem distributiv-Gesetz funktioniert so, daß man aus jeder der \bgroup\color{demo}$ n$\egroup Klammern jeweils \bgroup\color{demo}$ x$\egroup oder \bgroup\color{demo}$ y$\egroup auswählt, die gewählten Variablen miteinander multipliziert und die Summe über alle diese Auswahlen bildet. Um die jeweiligen Produkte zu bestimmen genügt es festzustellen wie oft (sagen wir \bgroup\color{demo}$ k$\egroup mal) \bgroup\color{demo}$ y$\egroup gewählt wurde. In den anderen \bgroup\color{demo}$ n-k$\egroup vielen Klammern wurde dann \bgroup\color{demo}$ x$\egroup gewählt, also ist (wegen Kommutativgesetz) das Produkt \bgroup\color{demo}$ x^{n-k}y^k$\egroup und die Anzahl der Möglichkeiten bei den \bgroup\color{demo}$ n$\egroup-Klammern gerade \bgroup\color{demo}$ k$\egroup mal \bgroup\color{demo}$ y$\egroup zu wählen wird gerade durch Kombinationen ohne Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup (den Klammern wo wir \bgroup\color{demo}$ y$\egroup gewählt haben) aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup-vielen (Klammern) beschrieben. Also folgt die Formel.     []




5.5 Lemma.
Rekursionsformel für Binomialkoeffizienten: \bgroup\color{demo}$ \binom{n}{k}+\binom{n}{k+1}=\binom{n+1}{k+1}$\egroup

Veranschaulichen kann man diese Rekursionsformel durch das Pascal'sches Dreieck, in welchen sich die Eintragungen als Summe des direkt darüber sowie des links darüberstehenden Elements ergeben:

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \begin{array}{ccccccc}
\binom{0}{0} \\ [0.2cm]...
...& \binom{n+1}{k+1}&\hdots&\hdots&\binom{n+1}{n+1} \\ [0.2cm]
\end{array}$\egroup

Beweis. Dies läßt sich leicht mit Induktion zeigen, oder indem man beachtet, daß \bgroup\color{demo}$ k+1$\egroup-elementige Teilmengen von \bgroup\color{demo}$ \{0,\dots,n\}$\egroup eingeteilt werden können in solche die \bgroup\color{demo}$ n$\egroup nicht enthalten und somit \bgroup\color{demo}$ k+1$\egroup-elementige Teilmengen von \bgroup\color{demo}$ \{0,\dots,n-1\}$\egroup sind und solche die \bgroup\color{demo}$ n$\egroup enthalten und somit eindeutig als Vereinigung von \bgroup\color{demo}$ \{n\}$\egroup und einer \bgroup\color{demo}$ k$\egroup-elementige Teilmenge von \bgroup\color{demo}$ \{0,\dots,n-1\}$\egroup geschrieben werden können.     []


5.6 Bemerkung.
Beachte, daß Kombinationen ohne Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup-Elementen aus der Menge \bgroup\color{demo}$ \{0,1,2,\dots,n-1\}$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ k$\egroup-elementige Teilmengen \bgroup\color{demo}$ \{x_0,\dots,x_{k-1}\}\subseteq \{0,\dots,n-1\}$\egroup, o.B.d.A. so geschrieben werden können, daß \bgroup\color{demo}$ x_0<\dots< x_{k-1}$\egroup, also gerade durch streng monoton wachsende Folgen von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup natürlichen Zahlen \bgroup\color{demo}$ 0\leq x_0<\dots<x_{k-1}< n$\egroup beschrieben werden können.


5.7 Definition.
Unter einer Kombination mit Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup vielen Objekten aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup vielen, versteht man eine Auswahl von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup Elementen aus einer Grundmenge von \bgroup\color{demo}$ n$\egroup vielen, wobei es auf die Reihenfolge der Auswahl nicht ankommen soll, und man durchaus auch mehrmals gleiche Elemente wählen kann. Man spricht auch von Auswählen mit Zurücklegen.


5.8 Bemerkung.
Jede Kombination mit Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup vielen Objekten aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup vielen wird also durch \bgroup\color{demo}$ x_0,\dots,x_{k-1}\in\{0,\dots,n-1\}$\egroup beschrieben, wobei wir verschiedene Reihenfolgen der \bgroup\color{demo}$ x_0,\dots,x_{k-1}$\egroup als gleichbedeutend ansehen müssen. Wir können aber wie bei Kombinationen ohne Wiederholung die natürliche Reihenfolge \bgroup\color{demo}$ x_0\leq\dots\leq x_{k-1}$\egroup benutzen, und somit Kombinationen mit Wiederholung als monoton wachsende Folgen von natürlichen Zahlen \bgroup\color{demo}$ 0\leq x_0\leq\dots\leq x_{k-1}< n$\egroup auffassen.




5.9 Proposition.
Die Anzahl der Kombinationen mit Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup vielen Objekten aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup vielen ist \bgroup\color{demo}$ \binom{n+k+1}{k}$\egroup.

Beweis. Wir können aus jeder Kombination mit Wiederholung aufgefaßt als monotone Folge \bgroup\color{demo}$ 0\leq x_0\leq\dots\leq x_{k-1}< n$\egroup eine streng monotone Folge \bgroup\color{demo}$ 0\leq y_0<\dots<y_{k-1}<n+k-1$\egroup vermöge \bgroup\color{demo}$ y_i:=x_i+i$\egroup machen. Umgekehrt können wir aus jeder solchen streng monoton wachsenden Folge von \bgroup\color{demo}$ y$\egroup's eine monoton wachsende Folge von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup'en zurückgewinnen, indem wir \bgroup\color{demo}$ x_i:=y_i-i$\egroup setzen. Also entsprechen den Kombinationen mit Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup gerade die Kombinationen ohne Wiederholung von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup aus \bgroup\color{demo}$ n+k-1$\egroup, von welchen es \bgroup\color{demo}$ \binom{n+k-1}{k}$\egroup viele nach (5.3) gibt.     []


Beispiel.
Es werden in einer Übungsstunde 10 Beispiele von gewissen der anwesenden 20 StudentInnen gerechnet. Wieviele Möglichkeiten bestehen dafür, wenn es nur darauf ankommt dranzukommen, aber nicht welches Beispiel man rechnet.
Antwort: Kombinationen mit Wiederholung von 10 aus 20, also \bgroup\color{demo}$ \binom{20+10-1}{10}=20 030 010$\egroup.


Zusammenfassung.
Wir haben also folgende Anzahlen für Auswahlen von \bgroup\color{demo}$ k$\egroup aus \bgroup\color{demo}$ n$\egroup bestimmt:

mit Wiederholung ohne Wiederholung
mit Reihenf. (Variationen) \bgroup\color{demo}$ n^k$\egroup \bgroup\color{demo}$ (n)_k$\egroup
ohne Reihenf. (Kombinationen) \bgroup\color{demo}$ \binom{n+k-1}{k}$\egroup \bgroup\color{demo}$ \binom{n}{k}$\egroup

Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie


5.10 Definition.
Es sei eine Menge \bgroup\color{demo}$ X$\egroup möglicher und gleich-wahrscheinlicher Ereignisse gegeben. Also z.B. \bgroup\color{demo}$ \{$\egroupKopf\bgroup\color{demo}$ ,$\egroupZahl\bgroup\color{demo}$ \}$\egroup bei Werfen einer Münze, oder \bgroup\color{demo}$ \{1,2,3,4,5,6\}$\egroup bei Werfen eines Würfels, oder \bgroup\color{demo}$ \{0,1,2,3,\dots,36\}$\egroup beim Roulette. Sei \bgroup\color{demo}$ E$\egroup eine Teilmenge von \bgroup\color{demo}$ X$\egroup. Die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E)$\egroup dafür, daß ein Ereignis aus \bgroup\color{demo}$ E$\egroup eintritt ist per Definition

\bgroup\color{demo}$\displaystyle P(E):=\frac{\vert E\vert}{\vert X\vert},
$\egroup

also der Quotient aus der Anzahl der günstigen Fälle (d.h. der Fälle aus \bgroup\color{demo}$ E$\egroup) dividiert durch die Anzahl aller möglicher Fälle die auftreten können. Voraussetzung für diese Definition ist allerdings, daß die einzelnen Fälle gleichwahrscheinlich sind!

Offensichtlich ist \bgroup\color{demo}$ 0\leq P(E)\leq 1$\egroup. Es ist \bgroup\color{demo}$ P(E)=1$\egroup, wenn \bgroup\color{demo}$ E$\egroup ein sicher( eintretend)es Ereignis ist; und \bgroup\color{demo}$ P(E)=0$\egroup, wenn \bgroup\color{demo}$ E$\egroup ein unmögliches Ereignis ist.

So ist z.B. beim einmaligen Würfeln, ein einzelner Fall gerade ein einzelner Wurf, der durch die oben liegende Ziffer des Würfels beschrieben werden kann. Es gibt also 6 mögliche Fälle. Sei nun das Ereignis \bgroup\color{demo}$ E$\egroup gegeben, daß die Augenzahl gerade ist, dann sind die Fälle \bgroup\color{demo}$ 2$\egroup, \bgroup\color{demo}$ 4$\egroup und \bgroup\color{demo}$ 6$\egroup günstig und somit \bgroup\color{demo}$ P(E)=\frac{3}{6}=\frac12$\egroup.

Beim Roulette hingegen ist die Anzahl der möglichen Fälle \bgroup\color{demo}$ 1+36$\egroup und die für ``rouge''(=rot) gerade \bgroup\color{demo}$ 18$\egroup, somit \bgroup\color{demo}$ P(E)=\frac{18}{37}\sim
0.4865$\egroup.

Beachte jedoch, daß es beim Werfen 2'er Münzen (oder auch beim zweimaligen Werfen einer Münze) 4 mögliche Fälle gibt: (Kopf,Kopf), (Kopf,Zahl), (Zahl,Kopf), (Zahl,Zahl). Wenn wir also die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses \bgroup\color{demo}$ E$\egroup, daß genau eine Zahl kommt, bestimmen, so ergibt sich \bgroup\color{demo}$ P(E)=\frac{2}{4}=\frac12$\egroup, und nicht ein Drittel wie an vielleicht fälschlich wie folgt vermuten könnte: Es gibt 3 Fälle: Keinmal Kopf, genau einmal Kopf und zweimal Kopf. Einer davon ist günstig, also \bgroup\color{demo}$ P(E)=\frac13$\egroup. Diese Argumentation ist falsch, denn genau einmal Kopf zu werfen, kann auf zwei Arten zustande kommen, nämlich dadurch, daß die eine oder (ausschliesend) die andere Münze auf Kopf fällt. Es ist also doppelt so wahrscheinlich als, daß beide Münzen auf Kopf fallen.




5.11 Additionssatz.
\bgroup\color{demo}$ P(E_1\cup E_2)=P(E_1)+P(E_2)-P(E_1\cap E_2)$\egroup.

Beweis. Dies folgt aus \bgroup\color{demo}$ \vert E_1\cup E_2\vert+\vert E_1\cap E_2\vert=\vert E_1\vert+\vert E_2\vert$\egroup.     []


Beispiel.
Z.B. ist die Wahrscheinlichkeit bei 2 maligen Würfeln mindestens einen 6'er zu haben wie folgt bestimmbar. Die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E_i)$\egroup beim \bgroup\color{demo}$ i$\egroup-ten Wurf einen 6'er zu Würfeln ist 1/6. Die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E_1\cap E_2)$\egroup bei beiden Würfen einen 6'er zu Würfeln ist \bgroup\color{demo}$ 1/36$\egroup, also ist \bgroup\color{demo}$ P(E\cup E_2)=1/6+1/6-1/36=11/36$\egroup. Dies hätten wir natürlich auch recht schnell durch Abzählen der günstigen Fälle erhalten.




5.12 Satz über das Komplementärereignis.
\bgroup\color{demo}$ P(E^c)=1-P(E)$\egroup.

Beweis. Wegen \bgroup\color{demo}$ X=E\cup E^c$\egroup und \bgroup\color{demo}$ E\cap E^c=\emptyset$\egroup folgt dies aus dem Additionssatz.     []


Beispiel.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß mindestens zwei Personen auf einer Party mit \bgroup\color{demo}$ n$\egroup Personen am gleichen Tag Geburtstag haben berechnen wir wie folgt. Das komplementäre Ereignis, daß keine 2 der Personen am gleichen Tag Geburtstag haben ist \bgroup\color{demo}$ \frac{365\cdot364\cdot\dots\cdot(365-n+1)}{365^n}$\egroup. Bereits bei \bgroup\color{demo}$ n=23$\egroup ist dies \bgroup\color{demo}$ \sim 0.4927$\egroup also ist die Chance für 2 mit gleichen Geburtstag bereits mehr als 50%.


5.13 Definition.
Unter der bedingten Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E/E_0)$\egroup versteht man die Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Ereignis \bgroup\color{demo}$ E$\egroup eintritt, wenn man schon weiß, daß das Ereignis \bgroup\color{demo}$ E_0$\egroup eintritt (oder eingetreten ist).

Z.B. sei beim zweimaligen Werfen einer Münze \bgroup\color{demo}$ E_0$\egroup das Ereignis, daß die erste Münze auf Kopf fällt und \bgroup\color{demo}$ E$\egroup das Ereignis, daß die zweite Münze auf Kopf fällt. Dann hängt \bgroup\color{demo}$ E$\egroup offensichtlich nicht von \bgroup\color{demo}$ E_0$\egroup ab, also ist \bgroup\color{demo}$ P(E/E_0)=P(E)$\egroup.

Hingegen ist beim zweifachen Ziehen einer Karte aus \bgroup\color{demo}$ 4\cdot 8$\egroup Karten (ohne die erste zurückzustecken) die Wahrscheinlichkeit, daß die erste Karte ein As ist \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{4\cdot 8}=\frac18$\egroup. Jene, daß die zweite ein As ist hängt nun aber davon ab ob wir bereits ein As gezogen und somit entfernt haben, dann ist sie \bgroup\color{demo}$ \frac{3}{4\cdot 8-1}=\frac{3}{31}<\frac18$\egroup, oder ob wir beim ersten Zug kein As erwischt haben, dann ist sie \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{4\cdot 8-1}=\frac{4}{31}>\frac18$\egroup.




5.14 Satz über die bedingte Wahrscheinlichkeit.
Es ist \bgroup\color{demo}$ P(E/E_0)=P(E\cap E_0)/P(E_0)$\egroup.

Beweis. Es ist \bgroup\color{demo}$ P(E/E_0)=\vert E\cap E_0\vert/\vert E_0\vert=(\vert E\cap E_0\vert/\vert X\vert)/(\vert E_0\vert/\vert X\vert)=P(E\cap E_0)/P(E_0)$\egroup.     []

Diese Formel kann umgekehrt verwendet werden, um die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen zweier Ereignisse \bgroup\color{demo}$ E_1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ E_2$\egroup wie folgt zu bestimmen:




5.15 Multiplikationssatz.
Es ist \bgroup\color{demo}$ P(E_1\cap E_2)=P(E_1)\cdot P(E_2/E_1)$\egroup. Genau dann wenn \bgroup\color{demo}$ E_1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ E_2$\egroup unabhängig voneinander sind, d.h. \bgroup\color{demo}$ P(E_1)=P(E_1/E_2)$\egroup gilt, ist \bgroup\color{demo}$ P(E_1\cap E_2)=P(E_1)\cdot P(E_2)$\egroup.

Beweis. Die allgemeine Formel folgt sofort aus der Formel für die bedingte Wahrscheinlichkeit. Die spezielle Formel \bgroup\color{demo}$ P(E_1\cap E_2)=P(E_1)\cdot P(E_2)$\egroup gilt somit genau dann, wenn \bgroup\color{demo}$ P(E_1)=P(E_1/E_2)$\egroup gilt, d.h. daß die Wahrscheinlichkeit von \bgroup\color{demo}$ E_1$\egroup übereinstimmt mit jener von \bgroup\color{demo}$ E_1$\egroup unter der Voraussetzung, daß \bgroup\color{demo}$ E_2$\egroup eingetreten ist, also \bgroup\color{demo}$ E_1$\egroup unabhängig von \bgroup\color{demo}$ E_2$\egroup ist.     []


Beispiel.
Die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E_1)$\egroup bei einem Kartenspiel von 32 Karten ein As zu ziehen ist \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{32}$\egroup. Ist die gezogene Karte ein As, so ist die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E_2/E_1)$\egroup beim Ziehen einer weiteren Karten wieder ein As zu ziehen \bgroup\color{demo}$ \frac{3}{31}$\egroup. Die Wahrscheinlichkeit zwei Asse zu ziehen ist somit \bgroup\color{demo}$ P(E_1\cap E_2)=P(E_1)\cdot
P(E_2/E_1)=\frac{4}{32}\cdot\frac{3}{31}=\frac{3}{248}\sim 0.012$\egroup.

Vergleiche dies auch mit der Rechnung im Beispiel nach (5.12).




5.16 Formel für totale Wahrscheinlichkeit.

\bgroup\color{demo}$\displaystyle E\subseteq E_1\sqcup\dots\sqcup E_k\;\Rightarrow\;
P(E)=\sum_i P(E_j)\cdot P(E/E_j),
$\egroup

wobei \bgroup\color{demo}$ \sqcup$\egroup für eine Vereinigung disjunkter Mengen steht.

Beweis. Es ist \bgroup\color{demo}$ E=E\cap \bigsqcup_j E_j=\bigsqcup_j(E\cap E_j)$\egroup und somit

\bgroup\color{demo}$\displaystyle P(E) =\sum_j P(E\cap E_j) =\sum_j P(E_j)\cdot P(E/E_j)
$\egroup

    []




5.17 Formel von Bayes.

\bgroup\color{demo}$\displaystyle E\subseteq E_1\sqcup\dots\sqcup E_k\;\Rightarrow\;
P(E_i/E)=\frac{P(E_i)\cdot P(E/E_i)}{\sum_j P(E_j)\,P(E/E_j)}
$\egroup

Beweis.

$\displaystyle P(E_i)\cdot P(E/E_i)$ $\displaystyle =P(E\cap E_i)=P(E_i\cap E)=P(E)\cdot P(E_i/E)$    
  $\displaystyle =\Bigl(\sum_j P(E_j)\cdot P(E/E_j)\Bigr)\cdot P(E_i/E)$    

    []


5.18 Beispiele.
Die Wahrscheinlichkeit bei Würfelpokern eine große Straße zu Würfeln können wir wie folgt bestimmen. Es gibt \bgroup\color{demo}$ 6^5$\egroup möglichen Fälle für die 5 Würfe. Ein günstiger wäre 10,B,D,K,A für 1.,2.,3.,4. und 5. Würfel, aber auch jede andere der \bgroup\color{demo}$ 5!$\egroup Anordnungen ist günstig, also ist \bgroup\color{demo}$ P=\frac{5!}{6^5}=\frac{5}{324}\sim 0.015$\egroup.

Die Wahrscheinlichkeit bei Kartenpokern (wobei das Kartenspiel aus 9, 10, B, D, K, A in den 4 Farben bestehen soll) eine große Straße zu erhalten kann wie folgt bestimmt werden: Die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E_1)$\egroup als erste Karte ein As zu erhalten ist \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{4\cdot 6}$\egroup, jene \bgroup\color{demo}$ P(E_2/E_1)$\egroup für die zweite Karte einen König zu erhalten, wenn die erste ein As war ist \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{4\cdot 6-1}$\egroup. Die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ P(E_1\cap E_2)$\egroup ist somit \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{4\cdot 6}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-1}$\egroup. Jene, daß dann die 3.te Karte eine Dame ist, ist \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{4\cdot 6-2}$\egroup, und somit ist die Wahrscheinlichkeit, daß die ersten 3 Karten \bgroup\color{demo}$ (A,K,D)$\egroup in dieser Reihenfolge sind, gerade \bgroup\color{demo}$ \frac{4}{4\cdot 6}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-1}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-2}$\egroup. Das wir \bgroup\color{demo}$ (A,K,D,B,10)$\egroup in dieser Reihenfolge erhalten hat analog die Wahrscheinlichkeit

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \frac{4}{4\cdot 6}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-1}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-2}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-3}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-4}
$\egroup

Und da es uns auf die Reihenfolge der Karten nicht ankommt erhalten wir insgesamt als Wahrscheinlichkeit

\bgroup\color{demo}$\displaystyle 5!\cdot
\frac{4}{4\cdot 6}\cdot\frac{4}{4\cdot...
...rac{4}{4\cdot 6-3}\cdot\frac{4}{4\cdot 6-4}
=\frac{128}{5213}\sim 0.024
$\egroup

Bei \bgroup\color{demo}$ 4\cdot 9$\egroup Karten wäre das entsprechend

\bgroup\color{demo}$\displaystyle 5!\cdot
\frac{4}{36}\cdot\frac{4}{36-1}\cdot\f...
...-2}\cdot\frac{4}{36-3}\cdot\frac{4}{36-4}
=\frac{512}{129591}\sim 0.004
$\egroup

Bei \bgroup\color{demo}$ 4\cdot 5$\egroup Karten wäre das entsprechend

\bgroup\color{demo}$\displaystyle 5!\cdot
\frac{4}{20}\cdot\frac{4}{19}\cdot\frac{4}{18}\cdot\frac{4}{17}\cdot\frac{4}{16}
=\frac{64}{969}\sim 0.066
$\egroup

Die Wahrscheinlichkeit beim Würfelpoker ein full-hand mit sagen wir 2 Assen und 3 Könige zu würfeln können wir analog wie folgt bestimmen: Ein günstiger (der \bgroup\color{demo}$ 6^5$\egroup möglichen) Würfe wäre \bgroup\color{demo}$ A,A,K,K,K$\egroup. Es gibt soviel Umordnungen dieses Falles wie 2-elementige Teilmengen der Plätze 1 bis 5 die den Positionen der Asse entsprechen, also ist die Wahrscheinlichkeit \bgroup\color{demo}$ \binom{5}{2}\,\frac1{6^5}=\frac{5}{3888}\sim 0.0013$\egroup. Es gibt \bgroup\color{demo}$ 6\cdot 5$\egroup verschiedene Arten von full-houses, also ist die Wahrscheinlichkeit irgendein full-house zu würfeln \bgroup\color{demo}$ 6\cdot 5\cdot \frac{5}{3888}=\frac{25}{648}\sim 0.039$\egroup.

Beim Kartenspiel hingegen erhalten wir als Wahrscheinlichkeit von 2 Assen und 3 Königen

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \binom{5}{2}\cdot
\frac{4}{4\cdot 6}\cdot\frac...
...ac{3}{4\cdot 6-3}
\cdot\frac{2}{4\cdot 6-4}
=\frac{1}{1771}\sim 0.00056
$\egroup

und somit für irgend ein full-house \bgroup\color{demo}$ 30\cdot \frac{1}{1771}\sim 0.017$\egroup.

Andreas Kriegl 2002-02-01