18.1 Riemann-Integral


18.1.1 Definition. Integral.
Es sei \bgroup\color{demo}$ f:\mathbb{R}\supseteq I\to \mathbb{R}$\egroup eine beschränkte Abbildung auf einem kompakten Intervall \bgroup\color{demo}$ I$\egroup. Es sei \bgroup\color{demo}$ Z=\{I_1,\dots,I_N\}$\egroup eine endliche Zerlegung von \bgroup\color{demo}$ I=[a,b]$\egroup in Teilintervalle \bgroup\color{demo}$ I_1,\dots,I_N$\egroup. Als Obersumme von \bgroup\color{demo}$ f$\egroup bzgl. der Zerlegung \bgroup\color{demo}$ Z$\egroup bezeichnet man

\bgroup\color{demo}$\displaystyle O(f,Z):=\sum_{i=1}^N \vert I_i\vert \sup(f(I_i))
=\sum_{J\in Z}\vert J\vert \sup(f(J))
$\egroup

und als Untersumme

\bgroup\color{demo}$\displaystyle U(f, Z):=\sum_{i=1}^N \vert I_i\vert \inf(f(I_i))
=\sum_{J\in Z}\vert J\vert \inf(f(J)),
$\egroup

wobei \bgroup\color{demo}$ \vert J\vert$\egroup die Länge des Intervalls \bgroup\color{demo}$ J$\egroup bezeichnet.

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Weiters sei

$\displaystyle O(f)$ $\displaystyle := \inf\{O(f, Z): Z$ ist Zerlegung von $\displaystyle I\}$    
$\displaystyle U(f)$ $\displaystyle := \sup\{U(f, Z): Z$ ist Zerlegung von $\displaystyle I\}$    

Offensichtlich gilt \bgroup\color{demo}$ U(f)\leq O(f)$\egroup. Die Abbildung \bgroup\color{demo}$ f$\egroup heißt nun Riemann-integrierbar, falls \bgroup\color{demo}$ O(f)=U(f)$\egroup, d.h.

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \forall\varepsilon >0 \exists Z_1, Z_2: O(f, Z_1)<U(f, Z_2)+\varepsilon ,
$\egroup

und man schreibt

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \int_If = \int_a^b f=\int_a^b f(x) dx
$\egroup

für diesen Wert, und nennt dies das Riemann-Integral der Abbildung \bgroup\color{demo}$ f$\egroup von \bgroup\color{demo}$ a$\egroup bis \bgroup\color{demo}$ b$\egroup.




18.1.2 Lemma. Vieles ist integrierbar.
Jede monotone Funktion und jede stetige Funktion ist Riemann-integrierbar.

Man sieht leicht ein, daß monotone Funktionen nur Sprungstellen als Unstetigkeitsstellen besitzen können, und davon höchsten abzählbar viele vorhanden sein können.

Beweis. (1) O.B.d.A. sei \bgroup\color{demo}$ f$\egroup monoton wachsend. Weiters sei eine Zerlegung \bgroup\color{demo}$ Z$\egroup von \bgroup\color{demo}$ [a,b]$\egroup durch \bgroup\color{demo}$ a=t_0<t_1<\dots<t_N=b$\egroup gegeben mit \bgroup\color{demo}$ t_i:=a+i\frac{b-a}{N}$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ Z=\{I_1,\dots,I_N\}$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ I_i:=[t_{i-1},t_i]$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ \sup f(I_i)=f(t_i)$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \inf f(I_i)=f(t_{i-1})$\egroup also ist \bgroup\color{demo}$ O(f, Z)-U(f, Z)=\sum_{i=1}^N (f(t_i)-f(t_{i-1})) \frac{b-a}{N}
=(f(b)-f(a)) \frac{b-a}{N}\to 0$\egroup für \bgroup\color{demo}$ N\to{\infty}$\egroup.

(2) Sei nun \bgroup\color{demo}$ f$\egroup stetig, dann ist \bgroup\color{demo}$ f$\egroup gleichmäßig stetig nach (16.3.5), also existiert zu \bgroup\color{demo}$ \varepsilon >0$\egroup ein \bgroup\color{demo}$ \delta >0$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ \vert f(x)-f(y)\vert\leq\varepsilon $\egroup für \bgroup\color{demo}$ \vert x-y\vert\leq \delta $\egroup. Sei nun \bgroup\color{demo}$ Z$\egroup eine äquidistante Zerlegung wie zuvor mit Schrittweite \bgroup\color{demo}$ \vert t_i-t_{i-1}\vert\leq \delta $\egroup. Für \bgroup\color{demo}$ J\in Z$\egroup ist dann \bgroup\color{demo}$ \sup f(J)-\inf f(J)=\sup\{f(x)-f(y):x,y\in J\}\leq\varepsilon $\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ O(f, Z)-U(f, Z)\leq\sum_{j=1}^N \varepsilon  \vert J_j\vert=\varepsilon  (b-a)$\egroup. Also gilt \bgroup\color{demo}$ O(f)=U(f)$\egroup.     []


18.1.3 Beispiele integrierbarer Funktionen.

  1. Für konstante Funktionen $ f:x\mapsto c$ ist $ U(f, Z)=(b-a) c=O(f, Z)$ und somit $ \int_a^b f(x) dx=(a-b) c$. Beachte, daß für $ c<0$ das Integral $ \int_a^b c dx<0$ ist, also die so berechnete Fläche mit einem Vorzeichen versehen ist (welches die Orientierung der Fläche kodiert).
  2. Für lineare Funktionen $ f:x\mapsto c x$ mit $ c>0$ und $ Z$ gegeben durch $ a=t_0<\dots<t_n=b$ ist

    $\displaystyle U(f, Z)$ $\displaystyle =\sum_{j=1}^n (t_j-t_{j-1}) c t_{j-1}$    
    $\displaystyle U(f, Z)$ $\displaystyle =\sum_{j=1}^n (t_j-t_{j-1}) c t_{j}$    

    und somit

    $\displaystyle \frac12\Bigl(U(f, Z)+O(f, Z)\Bigr)$ $\displaystyle =\frac12 \sum_{j=1}^n (t_j-t_{j-1}) c (t_{j}+t_{j-1}) =\frac{c}{2} \sum_{j=1}^n (t_j^2-t_{j-1}^2)$    
      $\displaystyle = \frac{c}{2} (b^2-a^2) =\frac{c}2 (a+b) (b-a)$    

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    Dies ist $ \int_a^b f(x) dx$, denn $ U(f, Z)-O(f, Z)<\varepsilon $, wenn $ Z$ äquidistant mit hinreichend kleiner Schrittweite wie im Beweis von (18.1.2) gewählt wird.

Ein Kriterium für die Integrierbarkeit ist folgender Satz, den wir ohne Beweis angeben.




18.1.4 Lebesgue'sches Integrabilitätskriterium.
Eine beschränkte Funktion ist genau dann Riemann-integrierbar wenn die Menge der Punkte \bgroup\color{demo}$ x$\egroup in denen sie unstetig ist eine Lebesgue-Nullmenge ist.

Dabei heißt eine Teilmenge \bgroup\color{demo}$ M\subseteq \mathbb{R}$\egroup Lebesgue-Nullmenge, wenn zu jedem \bgroup\color{demo}$ \varepsilon >0$\egroup abzählbar viele Intervalle \bgroup\color{demo}$ (I_i)_{i\in\mathbb{N}}$\egroup existieren, s.d. \bgroup\color{demo}$ M\subseteq \bigcup_{i\in\mathbb{N}}I_i$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \sum_{i=0}^{\infty}\vert I_i\vert<\varepsilon $\egroup ist.

Z.B. ist jede abzählbare Menge eine Nullmenge, denn sei \bgroup\color{demo}$ M=\{t_i:i\in\mathbb{N}\}$\egroup und \bgroup\color{demo}$ I_i:=[t_i-\frac\varepsilon {2^i},t_i+\frac\varepsilon {2^i}]$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ M\subseteq \bigcup_{i\in\mathbb{N}}I_i$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \sum_{i\in \mathbb{N}}\vert I_i\vert=
\sum_{i=0}^{\infty}\frac{\varepsilon }{2^{i-1}}=4\varepsilon $\egroup.


18.1.5 Beispiel nicht integrierbarer Funktionen.
Die Dirichlet'sche Sprungfunktion \bgroup\color{demo}$ \chi _\mathbb{Q}$\egroup ist überall unstetig, also auf \bgroup\color{demo}$ [0,1]$\egroup nicht integrierbar.

Hingegen ist die Funktion \bgroup\color{demo}$ f:\mathbb{R}\to\mathbb{R}$\egroup welche gegeben ist durch

\bgroup\color{demo}$\displaystyle f:x\mapsto \left\{\begin{array}{ll} \frac1q&\t...
...teilerfreien $p$ und $q$} \\
0 &\text{andernfalls,} \end{array}\right.
$\egroup

Riemann-integrierbar über \bgroup\color{demo}$ [0,1]$\egroup, denn sie ist nur in den rationalen Punkten unstetig. Es ist leicht einzusehen, daß \bgroup\color{demo}$ \int_0^1 f(x) dx=0$\egroup ist.

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18.1.6 Lemma. Integrieren ist linear.
Die Riemann-integrierbaren Funktionen auf einen Intervall \bgroup\color{proclaim}$ I$\egroup bilden einen Vektorraum \bgroup\color{proclaim}$ R(I,\mathbb{R})$\egroup. Integrieren \bgroup\color{proclaim}$ \int_I:R(I,\mathbb{R})\to\mathbb{R}$\egroup ist linear, d.h. \bgroup\color{proclaim}$ \int_I (f+\lambda  g)=\int_I f+\lambda  \int_I g$\egroup für \bgroup\color{proclaim}$ \lambda \in\mathbb{R}$\egroup und Riemann-integrierbare Funktionen \bgroup\color{proclaim}$ f,g:I\to\mathbb{R}$\egroup.

Insbesonders bedeutet dies, daß wir die (orientierte) Fläche \bgroup\color{proclaim}$ A$\egroup zwischen zwei Funktionen \bgroup\color{proclaim}$ f$\egroup und \bgroup\color{proclaim}$ g$\egroup über einen Intervall \bgroup\color{proclaim}$ I$\egroup wie folgt berechnen können:

\bgroup\color{proclaim}$\displaystyle A=\int_I f - \int_I g=\int_I (f-g).
$\egroup

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Beweis. Es ist \bgroup\color{demo}$ \sup f(J)+\sup g(J)\geq \sup(f+g)(J)\geq \inf (f+g)(J)\geq \inf f(J)+\inf g(J)$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ O(f, Z)+O(g, Z)\geq O(f+g, Z)\geq U(f+g, Z)\geq
U(f, Z)+U(g, Z)$\egroup und somit ist \bgroup\color{demo}$ U(f+g)=O(f+g)$\egroup falls \bgroup\color{demo}$ f$\egroup und \bgroup\color{demo}$ g$\egroup integrierbar sind.     []




18.1.7 Lemma. Operationen für integrierbare Funktionen.
Produkte und beschränkte Quotienten Riemann-integrierbarer Funktionen sind Riemann-integrierbar. Ebenso ist Absolutbetrag Riemann-integrierbarer Funktionen ist Riemann-integrierbar.

Beachte jedoch, daß dies keine Formel zur Berechnung des Integrals eines Produktes aus jenen der Teile liefert.

Beweis. All dies folgt leicht aus dem Lebesgue'schen Integrabilitätskriterium (18.1.4).     []




18.1.8 Lemma. Additivität des Integrals bzgl. der Grenzen.
Integrieren ist additiv in den Grenzen, d.h. \bgroup\color{demo}$ \int_a^c f=\int_a^b f+\int_b^c f$\egroup.

Diese Gleichung gilt vorerst nur für \bgroup\color{demo}$ a\leq b\leq c$\egroup. Damit sie auch für beliebige \bgroup\color{demo}$ a,b,c$\egroup gilt, muß für \bgroup\color{demo}$ a\leq b$\egroup \bgroup\color{demo}$ 0=\int_a^a f=\int_a^b f+\int_b^a f$\egroup erfüllt sein, d.h. wir definieren

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \int_b^a f:= - \int_a^b f$\egroup für \bgroup\color{demo}$\displaystyle b\geq a.
$\egroup

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Beweis. Es seien \bgroup\color{demo}$ Z_-$\egroup und \bgroup\color{demo}$ Z_+$\egroup Zerlegungen der Intervalle \bgroup\color{demo}$ [a,b]$\egroup und \bgroup\color{demo}$ [b,c]$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ Z:= Z_-\cup Z_+$\egroup eine Zerlegung von \bgroup\color{demo}$ [a,c]$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ U(f, Z_-)+U(f, Z_+)=U(f, Z)\leq O(f, Z)
=O(f, Z_-)+O(f, Z_+)$\egroup also \bgroup\color{demo}$ O(f\vert _{[a,b]})+O(f\vert _{[b,c]})\geq O(f)\geq U(f)\geq U(f_{[a,b]})+U(f\vert _{[b,c]})$\egroup.     []




18.1.9 Lemma. Monotonie des Integrals.
Integrieren \bgroup\color{demo}$ \int_I:R(I,\mathbb{R})\to\mathbb{R}$\egroup ist monoton, d.h. aus \bgroup\color{demo}$ f\geq g$\egroup (soll heißen \bgroup\color{demo}$ f(x)\ge g(x)$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ x\in I$\egroup) folgt \bgroup\color{demo}$ \int_I f\geq \int_I g$\egroup.

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Insbesonders ist \bgroup\color{demo}$ \pm f\leq \vert f\vert$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ \pm\int_I f=\int_I (\pm f)\leq \int_I
\vert f\vert$\egroup, also

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \Bigl\vert\int_I f\Bigr\vert\leq \int_I \vert f\vert.
$\egroup

Beweis. Aus \bgroup\color{demo}$ f\leq g$\egroup folgt \bgroup\color{demo}$ U(f, Z)\leq U(g, Z)$\egroup und \bgroup\color{demo}$ O(f, Z)\leq O(g, Z)$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ O(f)=U(f)\leq O(g)=U(g)$\egroup.     []




18.1.10 Mittelwertsatz der Integralrechnung.
Es sei \bgroup\color{demo}$ m\leq f(x)\leq M$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ x\in[a,b]$\egroup und \bgroup\color{demo}$ f$\egroup integrierbar. Dann ist \bgroup\color{demo}$ m (b-a)\leq \int_a^b f\leq M (b-a)$\egroup.
Ist \bgroup\color{demo}$ f$\egroup sogar stetig, dann existiert ein \bgroup\color{demo}$ \xi \in[a,b]$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ \int_a^b f=f(\xi ) (b-a)$\egroup.

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Beweis. Dies folgt aus (18.1.9), da \bgroup\color{demo}$ \int_a^b m=(b-a) m$\egroup.

Für stetiges \bgroup\color{demo}$ f$\egroup liefert der Zwischenwertsatz die Existenz eines \bgroup\color{demo}$ \xi \in[a,b]$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ f(\xi )=\frac{1}{b-a}\int_a^b f$\egroup, da die rechte Seite zwischen \bgroup\color{demo}$ m=\inf(f)$\egroup und \bgroup\color{demo}$ M:=\sup(f)$\egroup liegt.     []

Andreas Kriegl 2002-07-01