2.4 Häufungswerte

Was bedeutet nun, daß eine Folge \bgroup\color{demo}$ (x_n)_n$\egroup nicht konvergiert? Ein Hinderungsgrund kann sein, daß mehrere Kandidaten für den Grenzwert vorhanden sind. Um dies präziser zu machen geben wir folgende


2.4.1 Definition. Häufungswert.
Ein \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}\in X$\egroup heißt Häufungswert der Folge \bgroup\color{demo}$ x:\protect\mathbb{N}\to X$\egroup, falls in jeder \bgroup\color{demo}$ \varepsilon $\egroup-Umgebung von \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup unendlich viele Folgeglieder liegen, d.h.

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \forall \varepsilon >0\forall n\exists k>n:x_k\in B_\varepsilon (x_{\infty}).
$\egroup

Eine Folge kann durchaus mehrere Häufungswerte haben. Z.B. hat \bgroup\color{demo}$ (-1)^n\frac{n}{n+1}$\egroup die Häufungswerte \bgroup\color{demo}$ \pm 1$\egroup und jede Abzählung \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{N}\to \protect\mathbb{Q}$\egroup hat alle \bgroup\color{demo}$ x\in\protect\mathbb{R}$\egroup als Häufungswertete.

Unter einer Teilfolge \bgroup\color{demo}$ x'$\egroup einer Folge \bgroup\color{demo}$ x:\protect\mathbb{N}\to X$\egroup versteht man \bgroup\color{demo}$ x'=x\o n$\egroup, wobei \bgroup\color{demo}$ n:\protect\mathbb{N}\rightarrowtail\protect\mathbb{N}$\egroup streng monoton wachsend ist. D.h. \bgroup\color{demo}$ x'=(x'_0,x'_1,x'_2,\dots)$\egroup entsteht aus \bgroup\color{demo}$ x=(x_0,x_1,x_2,\dots)$\egroup durch Wegstreichen aller bis auf abzählbar vieler Elemente \bgroup\color{demo}$ n_0=n(0)$\egroup, \bgroup\color{demo}$ n_1=n(1)$\egroup,..., \bgroup\color{demo}$ x'=(x'_0,x'_1,x'_2,\dots)=(\not{x}_0,\dots,\not{x}_{n_0-1},x_{n_0},\not{x
}_{n_0+1},\dots)$\egroup, also \bgroup\color{demo}$ x'_k := x_{n_k}$\egroup.


2.4.2 Definition. Limes inferior und superior.
Es sei \bgroup\color{demo}$ x$\egroup eine beschränkte Folge in \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{R}$\egroup. Sei \bgroup\color{demo}$ H$\egroup die Menge ihrer Häufungswerte. Statt \bgroup\color{demo}$ \inf(H)=\min(H)$\egroup schreibt man auch

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \liminf_{n\to{\infty}}x_n=\varliminf_{n\to{\infty}}x_n
$\egroup

und nennt dies Limes inferior und statt \bgroup\color{demo}$ \sup(H)=\max(H)$\egroup schreibt man auch

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \limsup_{n\to{\infty}}x_n=\varlimsup_{n\to{\infty}}x_n
$\egroup

und nennt dies Limes superior. ] \bgroup\color{demo}$ \varlimsup$\egroupLimes superior, der größte Häufungswert ] \bgroup\color{demo}$ \varliminf$\egroupLimes inferior, der kleinste Häufungswert

Man sieht wie folgt, daß \bgroup\color{demo}$ \inf(H)=\min(H)$\egroup ist: Sei \bgroup\color{demo}$ \mu:=\inf(H)$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \varepsilon >0$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ \mu+\varepsilon $\egroup keine untere Schranke, also existiert ein Häufungswert \bgroup\color{demo}$ h$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ \mu\leq h<\mu+\varepsilon $\egroup. Für \bgroup\color{demo}$ \delta :=\mu+\varepsilon -h>0$\egroup liegen unendlich viele Folgeglieder in der \bgroup\color{demo}$ \delta $\egroup-Umgebung um \bgroup\color{demo}$ h$\egroup und somit auch in der \bgroup\color{demo}$ \varepsilon $\egroup-Umgebung \bgroup\color{demo}$ U_\varepsilon (\mu)\supseteq U_\delta (h)$\egroup von \bgroup\color{demo}$ \mu$\egroup. Also ist \bgroup\color{demo}$ \mu$\egroup ein Häufungswert und damit \bgroup\color{demo}$ \mu=\min(H)$\egroup.

Beachte weiters, daß genau dann \bgroup\color{demo}$ a=\varlimsup_{n\to{\infty}}x_n$\egroup, wenn \bgroup\color{demo}$ a$\egroup ein Häufungswert ist, also in jeder \bgroup\color{demo}$ \varepsilon $\egroup-Umgebung unendlich viele Folgeglieder liegen, alle \bgroup\color{demo}$ a'>a$\egroup jedoch keine Häufungswerte sind, d.h. für jede \bgroup\color{demo}$ \varepsilon $\egroup-Umgebung fast alle Folgeglieder außerhalb dieser liegen. Zusammengefaßt liegen also für jedes \bgroup\color{demo}$ \varepsilon >0$\egroup unendlich viele Folgeglieder rechts von \bgroup\color{demo}$ a-\varepsilon $\egroup, aber nur endlich viele rechts von \bgroup\color{demo}$ a+\varepsilon $\egroup.




2.4.3 Lemma. Häufungswerte via Teilfolgen.
Ein Punkt \bgroup\color{proclaim}$ x_{\infty}$\egroup ist genau dann ein Häufungswert der Folge \bgroup\color{proclaim}$ x:\protect\mathbb{N}\to X$\egroup, wenn eine Teilfolge \bgroup\color{proclaim}$ x':\protect\mathbb{N}\to\protect\mathbb{N}\to X$\egroup existiert, welche gegen \bgroup\color{proclaim}$ x_{\infty}$\egroup konvergiert.

Beweis. ( \bgroup\color{demo}$ \Rightarrow$\egroup) Sei \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup ein Häufungswert von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup. Rekursiv wählen wir jedes \bgroup\color{demo}$ k\in\protect\mathbb{N}$\egroup einen Index \bgroup\color{demo}$ n_k>n_{k-1}$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ d(x_{n_k},x_{\infty})<\frac1k$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ (x_{n_k})_k$\egroup eine Teilfolge von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup, welche gegen \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup konvergiert.

( \bgroup\color{demo}$ \Leftarrow$\egroup) Sei \bgroup\color{demo}$ (x_{n_k})_k$\egroup eine Teilfolge von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup, welche gegen \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup konvergiert. Für jedes \bgroup\color{demo}$ \varepsilon >0$\egroup und \bgroup\color{demo}$ n\in\protect\mathbb{N}$\egroup existiert somit ein \bgroup\color{demo}$ k$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ n_k>n$\egroup und \bgroup\color{demo}$ d(x_{n_k},x_{\infty})<\varepsilon $\egroup, d.h. \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup ist ein Häufungswert von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup.     []

Ein anderes Hindernis für die Konvergenz einer Folge ist, wenn sie unbeschränkt ist. Andernfalls können wir folgendes Resultat verwenden.




2.4.4 Lemma. Konvergenz via eindeutiger Häufungswerte.
Eine Folge \bgroup\color{demo}$ x$\egroup ist genau dann konvergent, wenn sie beschränkt ist und \bgroup\color{demo}$ \liminf x=\limsup x$\egroup gilt, d.h. sie genau einen Häufungswert besitzt.

Beweis. ( \bgroup\color{demo}$ \Rightarrow$\egroup) Sei \bgroup\color{demo}$ x$\egroup konvergent gegen \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup und \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}'$\egroup ein Häufungswert von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup. Dann ist \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}=x_{\infty}'$\egroup, denn andernfalls lägen fast alle Folgenglieder in der \bgroup\color{demo}$ \varepsilon $\egroup-Umgebung von \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ \varepsilon <d(x_{\infty},x_{\infty}')/2$\egroup und somit nur endlich viele in der (disjunkten) \bgroup\color{demo}$ \varepsilon $\egroup-Umgebung von \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}'$\egroup. Also ist \bgroup\color{demo}$ H=\{x_{\infty}\}$\egroup die Menge der Häufungswerte von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ \liminf x=\inf(H)=x_{\infty}=\sup(H)=\limsup x$\egroup.

( \bgroup\color{demo}$ \Leftarrow$\egroup) Sei \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}:=\liminf x=\limsup x$\egroup und \bgroup\color{demo}$ \varepsilon >0$\egroup. Dann liegen fast alle Folgeglieder rechts von \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}-\varepsilon $\egroup, denn andernfalls gäbe es nach Bolzano-Weierstraß (2.4.5) einen (uneigentlichen) Häufungswert \bgroup\color{demo}$ \leq x_{\infty}-\varepsilon $\egroup. Ebenso liegen fast alle Folgeglieder links von \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}+\varepsilon $\egroup, denn andernfalls gäbe es einen (uneigentlichen) Häufungswert \bgroup\color{demo}$ \geq x_{\infty}+\varepsilon $\egroup. Dies zeigt die Konvergenz von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup gegen \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup.     []




2.4.5 Satz von Bolzano & Weierstraß.
Es sei \bgroup\color{demo}$ x=(x_n)_{n\in\protect\mathbb{N}}$\egroup eine beschränkte Folge in \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{R}^p$\egroup. Dann besitzt \bgroup\color{demo}$ x$\egroup einen Häufungspunkt \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}\in\protect\mathbb{R}^p$\egroup.

Beweis. Sei vorerst \bgroup\color{demo}$ p=1$\egroup. Wir nennen einen Index \bgroup\color{demo}$ N$\egroup Gipfelstelle von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup, wenn \bgroup\color{demo}$ x_n\leq x_N$\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ n>N$\egroup. Falls \bgroup\color{demo}$ x$\egroup unendlich viele Gipfelstellen \bgroup\color{demo}$ g_1<g_2<\dots$\egroup besitzt, so ist \bgroup\color{demo}$ k\mapsto x_{g_k}$\egroup eine monoton fallende Teilfolge. Anderenfalls existiert eine letzte Gipfelstelle \bgroup\color{demo}$ g$\egroup und damit können wir rekursive eine Teilfolge \bgroup\color{demo}$ x_{n_k}$\egroup durch \bgroup\color{demo}$ n_0:=g+1$\egroup und \bgroup\color{demo}$ n_{k+1}:=\min\{n>n_k:x_n\geq x_{n_k}\}$\egroup. Dies definiert eine monoton wachsende Teilfolge von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup.

Image /home/andreas/tex/Books/math4ilak//pic-016.gif

Sei nun \bgroup\color{demo}$ (x_n)_{n\in\protect\mathbb{N}}$\egroup in \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{R}$\egroup beschränkt. Nach dem eben Gesagten existiert eine monotone Teilfolge von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup und diese ist nach (2.3.9) konvergent, d.h. \bgroup\color{demo}$ x$\egroup besitzt eine Häufungswert nach (2.4.3).

Sei schließlich \bgroup\color{demo}$ (x_n)_{n\in\protect\mathbb{N}}$\egroup in \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{R}^p$\egroup beschränkt. Nach obigen existiert eine konvergente Teilfolge \bgroup\color{demo}$ (x_{n_k}^p)$\egroup der letzten Koordinate. Die Folge \bgroup\color{demo}$ (x_{n_k}^1,\dots,x_{n_k}^{p-1})_k$\egroup besitzt seinerseits nach Induktion eine konvergente Teilfolge \bgroup\color{demo}$ (x_{n_{k_l}})_l$\egroup in \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{R}^{p-1}$\egroup und somit ist \bgroup\color{demo}$ l\mapsto x_{n_{k_l}}$\egroup eine konvergente Teilfolge in \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{R}^p$\egroup wieder nach (2.4.3).     []

Um die Konvergenz einer Folge mittels der Definition nachprüfen zu können, benötigen wir aber schon den Kandidaten für den Grenzwert. Deshalb ist das folgende Kriterium oft sehr hilfreich.




2.4.6 Proposition. Cauchy'sches Konvergenzkriterium.
Eine Folge \bgroup\color{demo}$ x=(x_n)_n$\egroup in \bgroup\color{demo}$ \protect\mathbb{R}^n$\egroup ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge ist, d.h.

\bgroup\color{demo}$\displaystyle \forall\varepsilon >0\exists N\in\protect\mathbb{N}\forall m,n\geq N:d(x_n,x_m)<\varepsilon .
$\egroup

Ein metrischer Raum heißt vollständig, wenn jede Cauchy-Folge in ihm konvergiert.

Beweis. Jede konvergente Folge ist Cauchy, denn aus \bgroup\color{demo}$ \vert x_k-x_{\infty}\vert<\frac{\varepsilon }2$\egroup für \bgroup\color{demo}$ k\geq N$\egroup folgt \bgroup\color{demo}$ \vert x_n-x_m\vert\leq\vert x_n-x_{\infty}\vert+\vert x_{\infty}-x_m\vert<\varepsilon $\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ n,m\geq N$\egroup.

Umgekehrt sei \bgroup\color{demo}$ x=(x_n)_n$\egroup eine Cauchy-Folge. Dann existiert ein \bgroup\color{demo}$ N$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ \vert x_n-x_N\vert\leq 1$\egroup für \bgroup\color{demo}$ n\geq N$\egroup und somit ist \bgroup\color{demo}$ x$\egroup beschränkt. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß (2.4.5) existiert eine konvergente Teilfolge \bgroup\color{demo}$ (x_{n_k})_k$\egroup von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup mit Grenzwert \bgroup\color{demo}$ x_{\infty}$\egroup. Dies ist aber auch der Grenzwert von \bgroup\color{demo}$ x$\egroup, denn für \bgroup\color{demo}$ \varepsilon >0$\egroup existiert ein \bgroup\color{demo}$ N$\egroup mit \bgroup\color{demo}$ \vert x_n-x_m\vert<\varepsilon $\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ n,m>N$\egroup und somit \bgroup\color{demo}$ \vert x_{\infty}-x_m\vert\leq\varepsilon $\egroup für alle \bgroup\color{demo}$ m>N$\egroup durch Grenzübergang von \bgroup\color{demo}$ n=n_k$\egroup für \bgroup\color{demo}$ k\to{\infty}$\egroup.     []


2.4.7 Bemerkung.
Beachte jedoch, daß es für die Konvergenz nicht genügt wenn der Abstand aufeinanderfolgender Folgeglieder beliebig klein wird. Z.B. ist für die harmonische Folge \bgroup\color{demo}$ x_n:=\sum_{k=1}^n \frac1n$\egroup der Abstand \bgroup\color{demo}$ \vert x_{n+1}-x_n\vert=\frac1{n+1}\to 0$\egroup aber die Folge divergiert gegen \bgroup\color{demo}$ +{\infty}$\egroup.

Andreas Kriegl 2003-10-15